'Einer der Jungs' – über die israelische Wehrpflicht für junge Frauen

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Sahar Vardi

Seit seiner Gründung gibt es in Israel die Wehrpflicht sowohl für Männer als auch Frauen. Man ist national und international stolz auf das relativ geschlechtergleiche Militär, bei dem Frauen genauso wie Männer zu der Gesellschaft beitragen und ihren Wert unter Beweis stellen können. Die durch das Militär dargestellte anscheinende Gleichheit der Geschlechter provoziert eine besonders feministische Perspektive zur Wehrpflicht von Frauen.

Als ich ungefähr elf war hing im Zimmer meines Bruders ein Poster mit einer Kampfsoldatin im Training, die einen Soldaten auf ihrem Rücken trug und so die Evakuierung eines verletzten Kameraden im Kampf simulierte. Damals beschloss ich, eine Kampfsoldatin zu werden; ich wollte den Männern beweisen, oder vielleicht auch mehr mir selbst, dass ich die gleichen Dinge tun konnte wie sie. Ungefähr im gleichen Alter wußte ich, dass ich gegen die israelische Militärbesetzung der Palästiner war – dass Gewalt nichts war, dass ich auf irgendeine Weise fördern wollte. Aber die Gelegenheit, mich selbst auf diesem sehr männlich dominierten Gebiet als den Männern gleichwertig zu beweisen, war attraktiver. Mit der Zeit bin ich da herausgewachsen, als sich mein Verständnis für Feminismus und Gleichstellung entwickelte. Aber es gibt immer noch Zeiten, zu denen ich mich auf emotionaler Ebene genauso fühle und die gleiche Bewunderung für diese es mit den Männern aufnehmenden Kampfsoldatinnen empfinde.

Historisch gesehen wurden bei der Heroisierung der Kämpfer gewöhnlich Frauen übersehen. Während feministische und antimilitaristische Bewegungen versuchten, das Konzept der Heroisierung anzugehen, scheint das israelische Militär die Teilnahme von Frauen im Kampf zu fördern, zumindest dem Schein nach. Die Wehrpflicht für Frauen beim israelischen Militär ist nicht nur ein weiterer Teil der universellen Wehrpflicht in Israel – und des Gedankens 'jeder geht' – sondern wird auch besonders als eine auf Gleichstellung der Geschlechter und deren Förderung basierende Politik hervorgehoben. Das zu 34 % aus Frauen bestehende Militär ist stolz darauf, dass 88 % der Stellen in der Armee für Frauen offenstehen und Frauen im Kampf teilnehmen können.

Diese Illusion von Gleichstellung dient zwei Zwecken. Der erste: Motivation junger Frauen zum Dienen, indem man ihnen zeigt, dass das Militär der Platz für sie ist, um zu beweisen, dass sie hinsichtlich ihrer Pflichten und Leistungen den Männern gleichwertig sein können. Die Tatsache, dass Hunderte von Soldatinnen jedes Jahr über sexuelle Belästigungen beim Militär klagen – und laut Militärforschung im Jahre 2002 wurden 80 % der Soldatinnen während ihres Wehrdienstes sexuell belästigt – wird normalerweise übergangen.

Der zweite Zweck: die Illusion der Gleichstellung ist ein Teil der Legitimisierung des Militärs, sowohl für sich selbst als auch für den Rest der israelischen Gesellschaft und für die internationale Gemeinschaft.

Die israelische Armee ist stolz darauf, 'die moralischste Armee der Welt' zu sein.(1) Damit werden insbesondere die IDF-Kampfeinsätze legitimiert, indem man erklärt, dass zivile Opfer, Verletzungen und Sachschaden während "militärischen Operationen" gerechtfertigt sein müssen, da israelische Soldaten unter den gegebenen Umständen auf die moralischste Art und Weise agieren. Nach dem Angriff auf Gaza im Jahre 2009 (Operation Cast Lead) antwortete der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak auf die Zeugenaussagen von Soldaten hinsichtlich des Leids, das Zivilisten angetan wurde, mit der Behauptung: "Wir haben die moralischste Armee auf der Welt. Ich verbrachte Jahrzehnte in Uniform. Ich weiß, was in Jugoslawien passierte, in Afghanistan und im Irak. Und ich sage Ihnen, dass – vom Personalchef bis zum letzten Soldaten – die moralischste Armee der Welt der israelischen Regierung zur Verfügung steht. Ich habe keinen Zweifel, dass jeder spezifische Vorfall überprüft wird".(2)

Um diese Wahrnehmung aufrechtzuerhalten, muss die IDF jedoch anscheinend einen höheren moralischen Standard haben als die Leute, die sie bekämpft; nicht nur an der Front, sondern auch in ihren Kernwerten. Aus diesem Grund gibt die Wehrpflicht für Frauen und die Illusion von Gleichstellung der Frauen im militärischen System, zusammen mit der Wehrpflicht für Homosexuelle, der IDF moralisches Oberwasser – was die Werte des "Westens" angeht – im Vergleich zu anderen Armeen auf der Welt und insbesondere im Nahen Osten. Und so kann das israelische Militär und die israelische Gesellschaft die Wehrpflicht für Frauen als progressiven nächsten Schritt zur Befreiung der Frauen feiern.

Die andere Seite ist, dass die Frauen-Friedensbewegung in Israel jahrzehntelang eine dominante Stimme in der allgemeinen Friedensbewegung hatte und ihre einzigartige Stimme als Frauen benutzen konnten, um die Politik zu beeinflussen. Interessanterweise nutzten sie zu Zeiten dafür die Rolle, in der sie mit Erlaubnis einer militaristischen Gesellschaft dominieren durften – die Rolle der liebenden Mutter eines Soldaten – um das Ende des Krieges und die Heimkehr der Soldaten zu fordern, eine Strategie, die durch die Bewegung "Four Mothers"(3) effektiv wurde. Das war beim endgültigen Rückzug der Israeli aus dem Libanon im Jahre 2000 ausschlaggebend. Andere feministische Friedensbewegungen gingen einen anderen Weg und stellten die Rolle in Frage, die ihnen als Unterstützerinnen und Ausbilderinnen zukünftiger Soldaten gegeben war. Sie bildeten Gruppen wie Women in Black, New Profile, the Women's Coalition for peace und noch viele weitere, die alle weiterhin eine klare, feministische Stimme gegen die Besatzung und die Militarisierung der israelischen Gesellschaft erheben.

Im Jahre 2005 verweigerte Idan Halili, eine neunzehnjährige Israelin, den Wehrdienst, indem sie erklärte: "Eine stark patriarchalische Institution, wie die Armee, betont nur die Marginalität der Frauen und die Überlegenheit männlich identifizierter Werte. ... Man könnte sagen, dass in der ganzen Armee eine Stimmung sexueller Belästigung herrscht. Und somit kommt die Aufforderung an eine Frau zur Armee zu gehen, der Aufforderung gleich sexueller Belästigung gewachsen zu sein. Ich als Feministin meine, ich muss den Militärdienst vermeiden und dahingehend handeln, dass der Einfluss der Armee auf die Zivilgesellschaft begrenzt und reduziert wird".

Heute arbeiten wir als Mitglieder israelischer feministischer Bewegungen auf eine Entmilitarisierung der israelischen Gesellschaft hin und müssen ständig eine alternative feministische Stimme erheben, die sowohl das vorhandene Patriarchat in der Armee und seine Auswirkung auf Frauen hervorhebt als auch unsere Alternative vorstellt – eine feministische Stimme für den Frieden.

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1. Dieser Satz wurde von zahlreichen israelischen Politikern und Generälen wiederholt, in den letzten Jahren auch von dem ehemaligen Premierminister Ehud Barak, der jetzt Verteidigungsminister ist; dem ehemaligen Personalchef der Armee Gabi Ashkenazi; dem ehemaligen Premierminister Ehud Olmert und vielen anderen.

2. Shahar Ilan & Fadi Iadath, 'Barak: we have the most moral military, every incident will be investigated', Haaretz News, 20/3/2009, http://www.haaretz.co.il/news/politics/1.1251460
Von Sahar Vardi, basierend auf ihrem Artikel in dem demnächst erscheinenden WRI-Buch mit demvorläufigen Titel 'Sowing the Seeds: The Militarisation of Youth and How to Counter It' (Den Boden bereiten: die Militarisierung der Jugendlichen und Gegenmaßnahmen dazu)

3. Four mothers: www.4mothers.org.il/peilut/backgrou.htm

Übersetzer: Inge Dreger

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